Münster, den

Film­kri­ti­ken zu den Wett­be­werbs­fil­men des LITFILMS 2024

Die hier ver­sam­mel­ten Kri­ti­ken zu den Litfilms-Fes­ti­val­fil­men sind im Rah­men eines Semi­nars „Übers Kino schrei­ben – Theo­rie und Pra­xis der Film­kri­tik“ am Ger­ma­nis­ti­schen Insti­tuts der Uni­ver­si­tät Müns­ter ent­stan­den. Ziel die­ser im Mas­ter „Kul­tur­poe­tik“ ange­bo­te­nen Ver­an­stal­tung war es, Theo­rie und Pra­xis der Film­kri­tik in einen Dia­log zu brin­gen und Wege in die jour­na­lis­ti­sche Tätig­keit zu eröffnen.

Den the­ma­ti­schen Rah­men bil­de­te dabei der titel­ge­ben­de Slo­gan ‚Übers Kino schrei­ben‘, und das in dop­pel­ter Hin­sicht: Zum einen schau­ten wir uns ver­schie­de­ne theo­re­ti­sche Ent­wür­fe und pro­gram­ma­ti­sche Über­le­gun­gen im Ver­lauf der nun­mehr 100-jäh­ri­gen Geschich­te der Film­kri­tik an und ver­such­ten uns unter­schied­li­chen Ver­fah­ren im Umgang mit Fil­men anzu­nä­hern. Zum ande­ren grenz­ten wir das Feld der ein­be­zo­ge­nen Bei­spie­le auf sol­che Fil­me ein, die Kino­si­tua­tio­nen vor­füh­ren oder ‚Film-im-Film‘-Strukturen abbil­den. Bei­spie­le die­ser Art sind viel­zäh­lig und bekannt, so etwa Sun­set Bou­le­vard (USA 1950), Le Mépris (F 1963), Nickel­ode­on (USA 1976), La Nuit ame­ri­cai­ne (F/I 1973), The Pur­ple Rose of Cai­ro (USA 1985), Last Action Hero (USA 1993), Ed Wood (USA 1994), Ing­lo­rious Bas­ter­ds (USA 2009), The Artist (F 2011) und Once Upon in Hol­ly­wood (USA 2019).

So erga­ben sich eine dop­pel­läu­fi­ge Per­spek­ti­ve aus Theo­rie und Pra­xis und damit auch die Mög­lich­keit eines Wech­sels zwi­schen den jewei­li­gen Per­spek­ti­ven, stets im Bestre­ben, den (Spiel-)Film als Leit­gat­tung der Medi­en­kul­tur kri­tisch-ver­siert in den Blick zu neh­men, um gewapp­net zu sein für eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den Festivalbeiträgen.Die Ver­an­stal­tung fand in Koope­ra­ti­on mit dem Film­jour­na­lis­ten Dani­el Kothen­schul­te (Frank­fur­ter Rund­schau) statt; wäh­rend des Fes­ti­vals gaben die Stu­die­ren­den an einem Gesprächs­abend im Schloss­thea­ter Ein­blick in ihre Arbeit. Das Semi­nar wur­de gelei­tet von PD Dr. Ste­phan Brös­sel und Niklas Lotz.

Die Kri­ti­ken

Nata­lia, kurz Nat, arbei­te­te frü­her als Simul­tan­über­set­ze­rin, kün­digt jedoch schließ­lich ihren Job, da sie die Lei­dens­ge­schich­ten von Flucht und Ver­ge­wal­ti­gung, die sie für Men­schen über­setzt, die Asyl suchen, nicht mehr ertra­gen kann.

Mit die­sem Bild wer­den die Zuschau­erinnen im Film kon­stant kon­fron­tiert: Immer wie­der erschei­nen Bil­der der Ver­gan­gen­heit, wie Nat die Geschich­te einer afri­ka­ni­schen Geflüch­te­ten über­setzt, oft­mals im Kon­trast zu ihrem eige­nen Leben, das sie nun in einem klei­nen Haus auf dem Land im Home Office verbringt.

Bei ihrem klei­nen Land­haus han­delt es sich aller­dings nicht um eine gemüt­li­che klei­ne Fin­ca. Statt­des­sen ver­bringt Nat ihre Tage damit, Was­ser in Kübeln auf­zu­fan­gen, da es sich bei dem soge­nann­ten Haus viel­mehr um eine Bara­cke mit einen undich­ten Dach, einem trop­fen­den Was­ser­hahn und wei­te­ren Pro­ble­men han­delt. Der Ver­mie­ter ist außer­dem ein skru­pel­lo­ser Sexist und Frau­en­feind, der sich um nichts küm­mert außer Geld von Nat ein­zu­trei­ben. Ange­lehnt ist Un amor (2023) an das gleich­na­mi­ge Buch von Sara Mesa.

Die ande­ren Dorf­be­woh­nerinnen erschei­nen auf den Blick sehr zuvor­kom­mend, aller­dings wer­den Tausch­ge­schäf­te in dem klei­nen Dorf groß­ge­schrie­ben. Dies wird auch Nat sehr deut­lich, als eines Abends Andre­as, „der Deut­sche“, vor ihrer Tür steht und ihr vor­schlägt, er kön­ne ihr trop­fen­des Dach repa­rie­ren, sofern er dafür in sie ein­drin­gen kön­ne. Scho­ckiert über das Ange­bot, lehnt Nat sofort ab, fährt aller­dings nach einem wei­te­ren Unge­wit­ter letzt­lich doch zum Haus des Deut­schen, um sich auf das unmo­ra­li­sche Ange­bot ein­zu­las­sen. Es geht alles sehr schnell: Nat ent­klei­det sich unten­rum und die Zuschau­erinnen wer­den Zeuginnen einer Sze­ne, bei der sich ein gro­ßer Mann, der dabei laut wie ein Tier stöhnt, über eine klei­ne, zier­li­che Frau her­macht. Nat selbst sieht bei der Sze­ne wie bei einer out-of-body-expe­ri­ence von einem Stuhl aus zu. Der Ton ist gedämpft. Es wird klar: Hier wird eine Ver­ge­wal­ti­gungs­sze­ne dar­ge­stellt. Mit einer eman­zi­pier­ten Frau, die allei­ne ihr Leben auf dem Dorf regelt, hat dies nichts zu tun.

Der rich­ti­ge Plot scheint zu begin­nen und mit ihm auch eine ver­dreh­te Lie­bes­be­zie­hung, die an eine schrä­ge Adap­ti­on von Die Schö­ne und das Biest erin­nert. Kurz nach dem Tausch­ge­schäft, Sex gegen Repa­ra­tu­ren, kehrt Nat näm­lich zu ihrem Pei­ni­ger zurück, um mit ihm zu schla­fen und schließ­lich eine Affä­re zu begin­nen. Es scheint, als ver­su­che sie krampf­haft eine Bezie­hung zu erzwin­gen, um sich sagen zu kön­nen „Ich bin nicht so eine“, sodass sie im wei­te­ren Ver­lauf des Films sogar eine Obses­si­on mit Andre­as ent­wi­ckelt. Ihre Ver­rückt­heit danach, eine Lie­bes­be­zie­hung begin­nen zu wol­len, wirkt wie eine Recht­fer­ti­gung für den ers­ten sexu­el­len Akt aka die Ver­ge­wal­ti­gung. Die Sex­sze­nen wer­den nun nicht mehr mit Angst insze­niert, son­dern mit Zärt­lich­keit. Das tie­ri­sche Geschrei des Deut­schen wird jedoch in jedem Fall bei­be­hal­ten. Nat ist gefan­gen in einem Netz sexis­ti­scher Struk­tu­ren und ihr ein­zi­ger Weg damit zurecht­zu­kom­men ist es, sich in Andre­as zu ver­lie­ben. Man könn­te fast von einer Art Stock­holm-Syn­drom sprechen.

Der Film zeigt vor allem die Affä­re zwi­schen der anhäng­li­chen Nat, die möch­te, das Andre­as sich öff­net und dem kal­ten, gefühl­lo­sen Deut­schen. Das Gan­ze endet damit, dass Nat das Dorf auf­grund ihres schreck­li­chen Ver­mie­ters, der geschei­ter­ten Affä­re und der toxi­schen Dorf­be­woh­nerinnen ver­lässt und dies mit einem kathar­ti­schen Tanz fei­ert, zu dem ihr tot­ge­glaub­ter Hund auch plötz­lich erscheint. Am Ende blei­ben fra­gen offen: Ist der Hund eine Illu­si­on? Han­delt es sich um einen Sui­zid und die bei­den tref­fen sich im Jen­seits wie­der? War­um ist Nat nicht schon viel frü­her gegangen?

Die Sto­ry ist schlep­pend. Der Film ent­wi­ckelt sich lang­sam und die Sze­nen sind oft ähn­lich. Es wird das Gefühl ver­mit­telt, die Zeit blei­be fast ste­hen. Viel­leicht soll mit die­sem Stil­mit­tel das Leben auf dem Land nach­ge­ahmt wer­den, für die Zuschau­erinnen aller­dings, ergibt sich eher ein Effekt von einem lang­at­mi­gen Plot, der über­wun­den wer­den muss, um an ein eher ent­täu­schen­des und vor allem unglaub­wür­di­ges Ende zu gelan­gen. Die Sto­ry hat gro­ßes Poten­zi­al kri­tisch eine der­ar­ti­ge Art von Bezie­hung zu hin­ter­fra­gen und zu beleuch­ten sowie gesell­schafts­kri­ti­sche Aspek­te hin­sicht­lich der Dorf­be­woh­nerinnen auf­zu­wer­fen. Und viel­leicht tut er das auch ein biss­chen, indem die Zuschau­erinnen dabei zuse­hen kön­nen, wie eine jun­ge Frau von ihrer patri­ar­cha­li­schen Umwelt zer­mürbt wird. Das vol­le Poten­zi­al ist aller­dings kei­nes­wegs ausgeschöpft.

Wes­halb sich für die schrä­ge Ver­si­on von Die Schö­ne und das Biest ent­schie­den wur­de, ist wei­ter­hin frag­wür­dig. Viel­leicht soll hier­durch tat­säch­lich die Ver­bin­dung zum Stock­holm Syn­drom auf­ge­zeigt wer­den? Was jedoch unan­fecht­bar ist, ist die Che­mie der bei­den Schauspieler*innen: Andre­as (Hovik Keuch­ke­ri­an) und Nata­lia (Laia Cos­ta). Obwohl der Anfang ihrer Bezie­hung absto­ßend ist, schaf­fen es die bei­den vor der Kame­ra eine beson­de­re Anzie­hung spü­ren zu las­sen. Sie zei­gen eine unfass­ba­re Zärt­lich­keit mit­ein­an­der auf der einen Sei­te, sind auf der ande­ren jedoch kein Lie­bes­paar und las­sen die­se Distanz und Unab­hän­gig­keit stets als stil­len Beglei­ter im Raum ste­hen. Die bei­den wer­fen mit ihrer schau­spie­le­ri­schen Leis­tung und ihrer Bezie­hung die Fra­ge auf: Ist das Lie­be? Hier­mit wird dem­nach eine per­fek­te Ver­bin­dung zum Titel her­ge­stellt. Auch spä­ter wird die­se Fra­ge noch­mals von zen­tra­ler Bedeu­tung, wenn Nat in ihre Obses­si­on ver­fällt und sich die Fra­ge auf­tut: Ist das Lie­be oder ledig­lich ein ver­zwei­fel­ter Ver­such sein Gesicht zu wah­ren? Anstatt also die sexis­ti­schen Dorf­struk­tu­ren zu kri­ti­sie­ren, wirkt der Film fast wie eine Kri­tik „so eine zu sein“. Un amor hat Poten­zi­al, nicht zuletzt auf­grund der schau­spie­le­ri­schen Leis­tung, der bei­den tra­gen­den Rol­len, schießt aller­dings an dem was sein könn­te vorbei.

Rau­schen. Wel­len bre­chen tief unten am Fels­ge­stein, Möwen krei­schen, Wind streift durch das hohe Gras oben auf den Klip­pen. Dort ruht Moses Sweet­land zwi­schen den Grä­sern. „Wer kann es nur bes­ser haben?“ fragt sich der in die Jah­re gekom­me­ne Mann und blickt aufs Meer hin­aus. Fein ver­web­te melan­cho­li­sche Klän­ge unter­ma­len die sanf­te Ein­blen­dung des Film­ti­tels vor dem Hin­ter­grund einer klei­nen Küs­ten­sied­lung und ihrer schrof­fen Umge­bung – als sei es nicht nur der Name des Prot­ago­nis­ten: SWEET­LAND. Beein­dru­ckend ruhig insze­niert Regis­seur Chris­ti­an Spar­kes eine Lite­ra­tur­ver­fil­mung, in der Mensch und behei­ma­te­te Land­schaft eine kan­ti­ge Ein­heit bilden.

Moses Sweet­land (Mark Lewis Jones) hat sein gan­zes Leben – abge­se­hen von einer kur­zen Zeit in Toron­to, als er „zu jung war, um es bes­ser zu wis­sen“ – in einem klei­nen, weit­ab­ge­le­ge­nen neu­fund­län­di­schen Küs­ten­ort ver­bracht, ist tief ver­wur­zelt mit dem Land, das seit Gene­ra­tio­nen von sei­ner Fami­lie bewohnt wur­de. Hier lebt und arbei­tet er im Ein­klang mit sich und den rau­en Gege­ben­hei­ten, arran­giert sich mit den Neue­run­gen des 21. Jahr­hun­derts; hier plauscht er mit Quee­nie, die sich fragt, war­um er sie nie gehei­ra­tet hat, hier küm­mert er sich um Jes­se, den „son­der­ba­ren“ Sohn sei­ner Nich­te Cla­ra, fährt mit ihm auf die Klip­pen und aufs Meer hin­aus, und hier liegt sein Bru­der begra­ben, der vor vie­len Jah­ren bei einem tra­gi­schen Unfall ums Leben kam. Selbst 100.000 Dol­lar finan­zi­el­le Unter­stüt­zung kön­nen Moses nicht dazu brin­gen, sei­ne Hei­mat zu ver­las­sen, wie es das Umsied­lungs­pro­gramm der kana­di­schen Regie­rung für die gesam­te Orts­ge­mein­schaft vor­sieht. Statt­des­sen will er – in den Wor­ten des Regie­rungs­be­auf­trag­ten – „lie­ber hier­blei­ben mit den Toten“. Doch unvor­her­ge­se­he­ne Ereig­nis­se zwin­gen Moses zu han­deln und kon­fron­tie­ren ihn mit der uner­bitt­li­chen Zeit­lo­sig­keit der ihm ver­trau­ten Fel­sen und Wellen.

Basie­rend auf dem gleich­na­mi­gen, 2014 ver­öf­fent­lich­ten Roman des eben­falls aus Neu­fund­land stam­men­den Autors Micha­el Crum­mey stellt SWEET­LAND nicht nur einen mensch­li­chen, son­dern auch einen geo­gra­phi­schen Prot­ago­nis­ten in den Mit­tel­punkt der Erzäh­lung. Wie bereits in sei­nem Lang­film­de­but CAST NO SHADOW (2014) und auch kürz­lich im Mys­tery-Thril­ler THE KING TIDE (2023) setzt Regis­seur Spar­kes die ein­zig­ar­ti­ge Land­schaft sei­ner kana­di­schen Hei­mat­pro­vinz in Sze­ne. In SWEET­LAND macht er sie gekonnt zum Abbild figür­li­cher Inner­lich­keit, das als lite­ra­ri­sches Stil­mit­tel unwill­kür­lich an die wil­de Hei­de­land­schaft York­shires aus den Roma­nen der Bron­të-Schwes­tern erin­nert. Das gedeck­te, dunk­le Farb­spek­trum, die schmerz­lich-atmo­sphä­ri­sche Musik aus der Feder des kana­di­schen Kom­po­nis­ten Andrew Sta­ni­land zusam­men mit den nach vor­ne gemisch­ten Hin­ter­grund­ge­räu­schen, sowie das behut­sa­me Erzähl­tem­po unter­strei­chen die bei­na­he mys­tisch-bedroh­li­che Kraft des Ortes und sei­ner unbe­zwing­ba­ren Ele­men­te, die star­ke Ver­bin­dung zwi­schen Land­schaft und den dort leben­den Men­schen. Sie dient vor allem als Spei­cher der Ver­gan­gen­heit, als aus der Zeit gelös­te Prä­senz und Moses ste­ti­ge Erin­ne­rung an das, was und vor allem wer ein­mal war. Tra­gi­sche Vor­komm­nis­se erhal­ten eine bei­na­he (und in die­sem Punkt durch­aus kri­tisch zu hin­ter­fra­gen­de) schick­sal­haf­te Dimen­si­on, wenn die Gren­zen zwi­schen Leben und Tod ver­schwim­men und der Griff um die Wirk­lich­keit sanft entgleitet.

Den­noch plät­schert der Film nicht so dahin; Moses rau­es, boden­stän­di­ges Auf­tre­ten und sei­ne uner­schüt­ter­li­che Beharr­lich­keit, über­zeu­gend gespielt von Mark Lewis Jones, gemein­sam mit dem manch­mal auch etwas dunk­lem Humor in der Inter­ak­ti­on mit sei­nen Mit­men­schen set­zen einen wich­ti­gen Kon­tra­punkt zur melan­cho­li­schen Atmo­sphä­re. Die nicht aus­führ­lich the­ma­ti­sier­ten, aber durch­aus prä­sen­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Neu­ro­di­ver­si­tät sowie psy­chi­scher Gesund­heit ver­lei­hen SWEET­LAND not­wen­di­ge Tie­fe und zusätz­li­che Aktua­li­tät und Rele­vanz. Denn letzt­end­lich ist es das Inne­re, das für Moses eng ver­wo­ben ist mit dem rau­schen­den Wind auf den Klip­pen und den Wel­len am Fels­ge­stein: die im Film­ti­tel zusam­men­ge­führ­te Ein­heit von Mensch und Landschaft.

Es war ein hei­ßer Som­mer, in dem die kind­li­che Unbe­schwert­heit der jun­gen Eva (Rosa Mer­chant) ein abrup­tes Ende fand. Jah­re spä­ter kehrt sie als erwach­se­ne Frau (Char­lot­te de Bruy­ne) in ihre Hei­mat­stadt zurück, um sich den Schat­ten ihrer Ver­gan­gen­heit zu stel­len. Der Debüt­film „When It Melts“ (2023) von Veer­le Bae­tens nimmt uns mit auf eine ein­drucks­vol­le Zeit­rei­se, die in zwei Erzähl­strän­gen von den prä­gen­den Erleb­nis­sen wäh­rend Evas Ado­les­zenz erzählt. Bereits zu Beginn wird deut­lich, dass etwas Schlim­mes pas­siert sein muss – ein dunk­les Geheim­nis, das lang­sam ent­hüllt wird. Bae­tens spielt mit Andeu­tun­gen und lässt die Zuschau­en­den bis zum Schluss in einer Art Unge­wiss­heit, bei der man sich aller­dings schon fra­gen muss, ob das dem Film zuträg­lich ist.

So sind man­che Sym­bo­li­ken etwas pla­ka­tiv, wie etwa das mys­te­riö­se Fra­ge­rät­sel der Freun­des­grup­pe, bei dem ein Mann in einem lee­ren Raum von der Decke hängt und unter ihm nur eine rät­sel­haf­te Was­ser­pfüt­ze liegt. Den ande­ren Kin­dern ist die Ant­wort auf die­ses Fra­ge­rät­sel lan­ge unklar, den Zuschau­en­den wird sie hin­ge­gen direkt vor die Nase gelegt. Etwa wenn man spä­ter die erwach­se­ne Eva dabei beob­ach­tet, wie sie einen rie­si­gen Eis­block durch den Win­ter schleift – eine Anspie­lung, die auch im Zusam­men­hang mit dem Film­ti­tel fast schon zu offen­sicht­lich erscheint. Trotz die­ser über­deut­li­chen Meta­phern ent­wi­ckelt der Film jedoch eine authen­ti­sche emo­tio­na­le Ebe­ne, die über sol­che insze­na­to­ri­schen Schwä­chen hinwegträgt.

Denn „When It Melts“ bie­tet weit mehr als sei­ne kon­stru­iert wir­ken­de Wen­dung. Die wah­re Stär­ke des Films liegt in den ein­drucks­vol­len Momen­ten, die den All­tag der jun­gen Eva ein­fan­gen – zwi­schen einer alko­hol­kran­ken Mut­ter, einem emo­tio­nal abge­wand­ten Vater, dem Schmerz der Aus­gren­zung durch Gleich­alt­ri­ge und ihrem ver­zwei­fel­ten Ver­such, ihren Platz in der Welt zu fin­den. Die­se Sze­nen sind fein­füh­lig insze­niert und ver­lei­hen der Erzäh­lung eine star­ke emo­tio­na­le Tie­fe, die nach­hal­tig beein­druckt. Beson­ders her­vor­zu­he­ben ist die her­aus­ra­gen­de schau­spie­le­ri­sche Leis­tung von Rosa Mer­chant, die Eva in ihrer ver­letz­li­chen Kind­heit glaub­haft verkörpert.

Der Film wagt es, ein schmerz­li­ches, nahe­zu uner­träg­li­ches The­ma auf­zu­grei­fen und schreckt dabei nicht davor zurück, die grau­sa­me Wahr­heit in all ihrer Unver­blümt­heit zu zei­gen. Das mag für eini­ge Zuschau­en­de schwer zu ver­kraf­ten sein, doch gera­de die­se scho­nungs­lo­se Ehr­lich­keit gibt dem Film sei­ne gro­ße emo­tio­na­le Wucht. Trotz der klei­ne­ren Schwä­chen in der Sym­bo­lik bleibt „When It Melts“ ein inten­si­ves, ein­dring­li­ches Werk, das lan­ge nach­hallt und den Zuschau­en­den mit einem Gefühl der Betrof­fen­heit zurücklässt.

Die Lie­be und das Biest

Ein men­schen­lee­rer Club irgend­wo im Paris des Jah­res 2044. Roy Orbin­son blieb vom Zahn der Zeit ver­schont, noch immer läuft sei­ne Rock-Schnul­ze „Ever­green“. Zumin­dest für den flüch­ti­gen Moment eines Tan­zes kön­nen Gabri­el­le (Léa Sey­doux) und Lou­is (Geor­ge MacK­ay) ein­an­der nah sein, sich den Kör­pern hin­ge­ben, ehe ihre immer­grü­ne Lie­be auf ewig abblüht. Manch­mal ist es ein­fa­cher, am Ende anzu­fan­gen. Wenn die Hoff­nung auf die so oft beschwo­re­ne, eine Lie­be in einem ein­zi­gen Schrei verklingt.

Von der essen­ti­el­len Ein­sam­keit sei­nes Lebens schreibt Hen­ry James in einem Brief an den ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­ten und engen Freund Mor­ton Ful­ler­ton. Die Novel­le The Beast in the Jungle, unstrei­tig eine der exzel­len­tes­ten Erzäh­lun­gen aus der Feder von James, wird in der Lite­ra­tur­kri­tik mit­un­ter als Lip­pen­be­kennt­nis des Schrift­stel­lers inter­pre­tiert, der nie ver­hei­ra­tet war und den die sexu­el­le Lie­be, laut dem Bio­gra­fen F.W. Dupee, zeit­le­bens ängs­tig­te. Besag­tes Biest der Geschich­te ist eine böse Vor­ah­nung, dass etwas schreck­li­ches pas­sie­ren muss, das aber nie ein­tritt; ein ver­wirk­tes Leben aus Angst vor dem Schick­sal, ein Leben in Ein­sam­keit statt Lie­be. Ein nicht gelieb­tes Leben.

Nun kommt man nicht umher die beson­de­re Prä­gnanz die­ses Stoffs für unse­re Gegen­wart zu bemer­ken, in der die Hedo­nis­mus­ob­ses­si­on von einer emp­fun­de­nen Macht­lo­sig­keit im Ange­sicht glo­ba­ler Kon­flik­te und Kri­sen kon­ter­ka­riert wird. Und so lau­er­te das Biest im Jahr 2023 in gleich zwei­er­lei Gestalt auf den gro­ßen Film­fes­ti­vals in Ber­lin und Vene­dig. Erst ließ der Öster­rei­cher Patric Chi­ha im Pan­ora­ma der 73. Ber­li­na­le mit La Bête dans la jungle die Jahr­zehn­te im schil­dern­den Rei­gen durch einen Nacht­club an den Men­schen vor­beit­an­zen, die in ihrem War­ten auf das mys­te­riö­se Mons­ter aber nie in der Zeit, nie im Moment leben und ohne die sich die Erde wei­ter­dreht. Auf der 80. Mos­tra in Vene­dig wie­der­um sprach der fran­zö­si­sche Regis­seur Bert­rand Bonel­lo von der Angst vor der Lie­be, die nicht nur sei­nen Film­ad­ap­ti­on La Bête, son­dern den Men­schen über­haupt präge.

Amor fati

La Bête schil­dert von der Zukunft als KI-Regime, wel­ches den Gefüh­len der Men­schen zur Stei­ge­rung der Pro­duk­ti­vi­tät den Gar­aus machen will. Wer also einen guten Platz in der Gesell­schaft ein­neh­men möch­te, unter­zieht sich einer Pro­ze­dur: Die Men­schen wer­den in ihre ver­gan­ge­nen Leben zurück­ver­setzt, um die DNA so von alten Trau­ma­ta und Affek­ten zu „berei­ni­gen“. Der Mensch wird ange­passt, und das von sei­nes eige­nen Geis­tes Kind. La Bête könn­te in die­ser erzäh­le­ri­schen Anla­ge durch­aus eine dys­to­pi­sche Para­bel auf poli­ti­sche Säu­be­rung in einer Tech­no­kra­tie sein, doch geht es dem Film um etwas weit­aus Fun­da­men­ta­le­res: Die Fra­ge, was den Men­schen zum Men­schen macht.

Die Ant­wort in La Bête ist dabei ein­deu­tig, ja melo­dra­ma­tisch: Mensch­lich­keit ist Emo­tio­na­li­tät. Auf­nah­men, die Léa Sey­doux beim Schau­spiel in einer Green-Box zei­gen, schei­nen als Erin­ne­rung, dass es hier um den Men­schen an sich geht, um die Fähig­keit zu füh­len sowie die­se Gefüh­le aus­zu­drü­cken – und dar­aus Kunst zu erschaf­fen. Die Angst vor dem mög­li­chen Ver­lust die­ser Fähig­keit wie­der­um zehrt Gabri­el­le im Film. Und das scheint berech­tigt, denn mit der DNA-Rei­ni­gung flacht die Inten­si­tät der Emo­tio­nen ab. Die Men­schen ver­fal­len einem futu­ris­ti­schen Stoi­zis­mus, der ihre Gefühls­welt kom­pro­mit­tiert, und sind so nicht län­ger von den Andro­iden zu unter­schei­den, die ob ihrer Gefäl­lig­keit auch „Pup­pen“ genannt werden.

La Bête lässt Gabri­el­le und Lou­is durch die Jahr­hun­der­te nach­ein­an­der seh­nen, führt bei­de immer wie­der schick­sal­haft zusam­men, um sie vom Schick­sal betrü­gen zu las­sen. So begeg­nen sie sich 2044 im DNA-Rei­ni­gungs­cen­ter, tref­fen sich in einer Pari­ser Salon­ge­sell­schaft des Jah­res 1910, fin­den sich eben­so 2014 in Los Ange­les wie­der – einer Stadt, in der Sex­be­ses­sen­heit mit unfrei­wil­li­gen Zöli­ba­t­ä­ren kon­f­li­giert und Schau­spie­ler, Models, Ober­fläch­lich­keit auf den bes­tia­li­schen Spei­se­plan lockt. Immer wie­der wird das Schick­sal der bei­den sym­bo­lisch auf die Mensch­heits­ge­schich­te als eine Mensch­heits­be­dro­hung über­setzt, bei­spiels­wei­se auf das his­to­ri­sche Sei­ne-Hoch­was­ser 1910 oder ein Erdbeben.

Film­äs­the­tisch win­det sich La Bête dabei vom Lie­bes­ge­plän­kel der Bour­geoi­sie in Manier des Kos­tüm­films zum alp­traum­haf­ten Voy­eu­ris­mus ganz im Zei­chen des Kinos David Lynchs (Video­auf­nah­men à la Lost High­way, Club­sze­nen wie aus Blue Vel­vet). Der Film lie­fert ein eige­nes Sinn­bild für die­sen über­bor­den­den Gen­re- und Stil­mix in einer ein­zel­nen Ein­stel­lung: Mel­dun­gen über töd­li­che Unru­hen, die Home­page einer Beau­ty­kli­nik und Pop-ups einer Wahr­sa­ge­rin auf Gabri­el­les Lap­top­bild­schirm, wäh­rend eine Mäd­chen­pup­pe unheim­lich aus dem Hin­ter­grund in Rich­tung der Kame­ra starrt. Geor­ge MacK­ay, der die Rol­le an Gaspard Ulliels statt über­nahm, und ins­be­son­de­re Léa Sey­doux manö­vrie­ren mit vor­treff­li­cher Fines­se, der immensen Kraft jedes ein­zel­nen Augen­schlags durch die­ses apar­te Wech­sel­bad, das ihnen eine gan­ze Palet­te ver­schie­de­ner Per­so­nae und Emo­tio­nen abverlangt.

In Lie­be, die Kunst

Fand Lie­be je bes­se­ren Aus­druck, war sie je schö­ner als in der Kunst? Bert­rand Bonel­lo kon­fron­tiert Gabri­el­le stets mit der Musik, insze­niert ihre Akri­bie als Pia­nis­tin gar als Suche nach dem Gefühl der kom­ple­xes­ten Kom­po­si­tio­nen. Doch muss die­ses Gefühl für sie in der Sphä­re der Kunst ver­blei­ben, als eine schmerz­vol­le Erin­ne­rung an das, was die­se Zukunft nicht mehr her­gibt. „Ever­green“ ist eben nur noch der Song, nicht län­ger die Liebe. 

In der Zukunft des Biests kippt die Empha­se in lei­den­schafts­lo­se Abs­ti­nenz. Gleich mehr­fach fin­det Puc­ci­nis Oper Madame But­ter­fly Erwäh­nung in La Bête. Gabri­el­le und Lou­is besu­chen Auf­füh­run­gen in Nea­pel und Paris, nen­nen das Stück ein „ewi­ges Dra­ma des Ver­lusts“. Die tra­gi­sche Erzäh­lung einer auf­grund äuße­rer Umstän­de uner­wi­der­ten Lie­be selbst legt sich wie eine Folie über den Film, insi­nu­iert eine gewis­se Inkom­pa­ti­bi­li­tät der Glau­bens­sät­ze und Men­schen­bil­der im hier pro­ji­zier­ten 2044.

Wenn La Bête auf die Kunst zurück­kommt, dann mit einem bit­te­ren Bei­geschmack: Sie zeigt nicht Lie­be, son­dern ver­lo­re­ne Lie­be. Und das Cre­do gilt für den Film. In den elek­tri­sie­ren­den Momen­ten, in denen sich Gabri­el­le und Lou­is bei­na­he kör­per­lich nah sein kön­nen, macht der Film selbst sie unmög­lich. Das fil­mi­sche Mate­ri­al bricht ein, das Bild ver­läuft, ruckelt. Er ist nicht mehr imstan­de Inti­mi­tät dar­zu­stel­len und die blo­ße Andeu­tung sich berüh­ren­der Lip­pen genug, um den fata­lis­ti­schen Wei­ter­lauf des Fil­mes, der die Figu­ren unwei­ger­lich ihrem Schick­sal zuführt, zumin­dest für eini­ge weni­ge Sekun­den zu unter­bre­chen. Nicht ein­mal mehr der Abspann schafft es in den Film, er ist ledig­lich mit einem QR-Code abruf­bar – und lässt den letz­ten schmerz­li­chen Schrei schein­bar unend­lich fort­wäh­ren. Wo Kunst seit jeher die Lie­be hoch­hielt, ver­drängt sie sie in die­ser Zukunfts­vi­si­on von La Bête. Und das ist die viel­leicht bedrü­ckends­te Vor­ah­nung, die Bert­rand Bonel­lo hegt: Nicht ein­mal mehr die Kunst wird es ver­mö­gen uns zu retten.

KALAK – die Bezeich­nung für eine ech­ten, aber auch schmut­zi­gen Grön­län­der ist die selbst­ge­wünsch­te Bezeich­nung der Wahl für Jan. Von sei­nem Vater in sei­ner Kind­heit sexu­ell miss­braucht, flieht er vor jenem und sei­ner Ver­gan­gen­heit aus Kopen­ha­gen nach Grön­land und ver­sucht sich zwi­schen rau­er Natur und eigen­sin­ni­gen, aber auch herz­li­chen Men­schen ein Leben auf­zu­bau­en. Die­se Bemü­hun­gen sind jedoch zum Schei­tern ver­ur­teilt: Jan ver­liert sich immer mehr in selbst­zer­stö­re­ri­schem Ver­hal­ten und über­nimmt, ähn­lich wie sein Vater, weder Ver­ant­wor­tung für sich selbst noch für die Schä­den, die er in sei­ner Umge­bung anrich­tet. Rück­sichts­lo­ses Ver­hal­ten ver­sucht er ein­mal schwach über das ihm ange­ta­ne Unrecht zu erklä­ren, wirkt dabei aber auf sei­ne Sexu­al­part­ne­rin der Wahl durch­aus unglaub­wür­dig, ins­be­son­de­re, da auch der Zuschau­er weiß, dass er sich nicht mit den augen­schein­li­chen Aus­wir­kun­gen, die die­ses Trau­ma auf ihn hat, beschäf­ti­gen will. Im Ver­lauf des Films wird der ober­fläch­lich sym­pa­thisch schei­nen­de Prot­ago­nist so tat­säch­lich immer dre­cki­ger und rück­sichts­lo­ser, wobei schlei­er­haft ist, wie genau er sich in die grön­län­di­sche Gesell­schaft ein­fügt, abge­se­hen davon, dass er zahl­rei­che sexu­el­le Affä­ren mit Frau­en ein­geht, die er ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te oder Fami­li­en­kon­stel­la­tio­nen, inklu­si­ve sei­ner eige­nen, solan­ge aus­lebt, bis ihm nicht mehr danach ist. Die­se Bezie­hun­gen enden dabei eben­so abrupt, wie sie begin­nen, wobei die emo­tio­nal invol­vier­ten Frau­en mit einem „Ver­piss dich!“ abge­speist werden. 

Die aus­blei­ben­de Aus­ein­an­der­set­zung mit den trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen schmerzt das Publi­kum im Ver­lauf des zwei­stün­di­gen Films dabei zuneh­mend, ins­be­son­de­re, da es direkt in den ers­ten Minu­ten des Films selbst Zeu­ge des Miss­brauchs wird. So viel auf der Hand­lungs­ebe­ne pas­siert, so wenig wird mit fil­mi­schen Mit­teln gear­bei­tet. Die Kame­ra fängt mit einer Bei­läu­fig­keit und Nüch­tern­heit die Gescheh­nis­se ein, die nicht so recht zu den teils scho­ckie­ren­den Ereig­nis­sen des Films pas­sen wol­len. Auch mit Ton wird kaum gear­bei­tet. Auf­fal­lend prä­gnant wird ledig­lich der Gegen­satz des Nacht­le­bens insze­niert: War­mes Licht, Musik und lau­te fröh­li­che Stim­men wer­den wie­der­holt Jans Wohn­block in kal­tem Licht und Stil­le gegen­über­ge­stellt, wobei nicht ganz klar ist, ob die­se wer­ten­den Gegen­sät­ze nicht viel­mehr eine Pro­jek­ti­on des Inne­ren des Prot­ago­nis­ten abbil­den und nicht die Rea­li­tät. Von außen betrach­tet scheint das bestän­dig Gute im Leben des Prot­ago­nis­ten eben genau bei sei­ner Fami­lie und vor allem bei sei­ner Frau zu lie­gen. Obwohl sie weiß, dass ihr Mann sie betrügt, sorgt sie für die weni­gen hei­te­ren Momen­te des Films. 

Beson­ders beein­dru­ckend ist indes die Dar­stel­lung des Vaters Ole, gespielt von Soren Hel­ler­up, die es schafft, den Zuschau­er eben­so mit Ekel wie mit einem unter­schwel­li­gen Gefühl der Bedro­hung zu erfül­len, jedes Mal, wenn er auf dem Screen zu Wort kommt und er sich dabei als Täter kei­ner Schuld bewusst ist. Jan, gespielt von Emil John­son, zeigt sich gera­de im Ver­gleich selt­sam ent­rückt von allem. Die­se Ent­rückt­heit über­trägt sich dabei auf den Zuschau­er und den gesam­ten Film, was es erschwert, ein­drück­li­che Bot­schaf­ten zu extra­hie­ren. Nur bei­läu­fig gestreift wer­den die his­to­ri­schen Span­nun­gen zwi­schen Däne­mark und Grön­land – hier ver­schenkt der Film Poten­zia­le. Auch die vom Prot­ago­nis­ten so krampf­haft ange­streb­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der grön­län­di­schen Kul­tur fruch­tet nicht und kommt vor allem nicht beim Zuschau­er an. Aus­flü­ge in die Natur wer­den zum Fami­li­en­still­le­ben, ohne dass die Prot­ago­nis­ten oder die Kame­ra eine ein­drück­li­che Bezie­hung zu ihr auf­zu­bau­en schei­nen. Sequen­zen, in denen die Fami­lie in die kul­tu­rel­len Bräu­che ein­ge­führt wird, enden all­zu oft in sexu­el­len Affä­ren Jans, als dass man das Gefühl haben könn­te, die ernst­haf­te kul­tu­rel­le Aus­ein­an­der­set­zung sei hier das Ziel. Poten­zia­le hat die Aus­ein­an­der­set­zung Jans und sei­ner Toch­ter mit der grön­län­di­schen Spra­che, ins­be­son­de­re im Ver­gleich mit dem Däni­schen, doch auch die­se rückt ange­sichts der Viel­zahl an Hand­lungs­ele­men­ten und Tra­gö­di­en, die der Film nüch­tern anein­an­der­reiht, schnell wie­der in Vergessenheit. 

Am Ende bleibt der Zuschau­er bedrückt und zutiefst unbe­frie­digt zurück, nach­dem er zwei Stun­den lang mit so vie­len scho­ckie­ren­den inhalt­li­chen Wen­dun­gen kon­fron­tiert wur­de, dass er die­se nicht mehr ord­nen kann. Die Fra­ge, was der Film im Nach­klang hin­ter­lässt, lässt sich wohl am bes­ten mit Unwohl­sein beant­wor­ten. Wer durch einen Film eine sinn­stif­ten­de Auf­lö­sung von Pro­blem­struk­tu­ren erwar­tet, für den ist KALAK nicht zu emp­feh­len. Für den­je­ni­gen, der sich ger­ne mal gezielt, in den Gren­zen der Lein­wand, mit der gan­zen Sinn­lo­sig­keit der Welt aus­ein­an­der­setzt und bereit ist, das mul­mi­ge Gefühl im Magen auch ein, zwei Tage spä­ter noch aus­zu­hal­ten, wird KALAK dage­gen viel­leicht genau das Rich­ti­ge sein.


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