Film­kri­tik: Scar­bo­rough

Von Maren Plottke

Kana­da in der Gegen­wart. Scar­bo­rough (Kana­da 2021. Sha­sha Nak­hai und Rich Wil­liam­son.), ein Bezirk Toron­tos, bekannt für sei­ne mul­ti­kul­tu­rel­le Zusam­men­set­zung und für die Armut der dort leben­den Menschen.

Drei Kin­der wer­den in gro­ßer Eile von ihren Müt­tern geweckt: Bing (Liam Diaz) flüch­tet mit sei­ner Mut­ter vor der Gewalt im eige­nen Haus­halt zu einer Freun­din. Lau­ra (Anna Clai­re Bei­tel) beglei­tet ihre Mut­ter zum Bahn­hof, wo sie spä­ter von die­ser zurück­ge­las­sen wer­den wird. Syl­vie (Meki­ya Essence Fox) lebt gemein­sam mit ihrer Mut­ter und ihrem klei­nen Bru­der John­ny in einer Obdach­lo­sen­un­ter­kunft. Von hier aus geht es zu einem Arzt, der die Ursa­che für John­nys lang­sa­me Ent­wick­lung her­aus­fin­den soll. Der Ein­stieg in die Hand­lung erfolgt rasant, Ereig­nis­se, die für die Zuschau­en­den schwie­rig zu fas­sen, für die Kin­der aber all­täg­lich sind, wer­den in Stac­ca­to par­al­lel montiert. 

Die­ses Tem­po prägt den gesam­ten Film. Nahe­zu jeder Anspruch an ein kind­ge­rech­tes Umfeld wird in 2:17 Stun­den Spiel­zeit gebro­chen. Hier spielt ein Mäd­chen mit Rasier­klin­gen, Ent­wick­lungs­stö­run­gen wer­den ver­kannt, Mob­bing ist fes­ter Bestand­teil des All­tags und nach­mit­tags geht es nicht auf den Spiel­platz, son­dern mit der Mut­ter zur Arbeit. Zum Ruhe­punkt für die drei Kin­der und alle Zuschau­en­den wird das Liter­acy Cent­re unter der Lei­tung von Hina (Ali­ya Kana­ni). Dort tref­fen Bing, Lau­ra und Syl­vie auf­ein­an­der, erfah­ren Bil­dung und Zuwen­dung und wer­den Freun­de. Alle von ihnen kämp­fen mit unter­schied­li­chen Pro­ble­men, haben aber auch Men­schen, die ihre Ent­wick­lung för­dern und ihnen ein gutes Leben ermög­li­chen möch­ten, dem Sys­tem, das sie nicht auf­fängt, zum Trot­ze. Ob das für alle Drei gelin­gen wird, bleibt dabei lan­ge Zeit in der Schwebe.

Scar­bo­rough ist ein Film, der nicht leicht zu ertra­gen ist. Gera­de des­halb ist er äußerst sehens­wert. Die Erzäh­lung wirkt glaub­wür­dig, die Cha­rak­te­re äußerst nah­bar und die gesam­te Insze­nie­rung ist ein­fühl­sam und von einer star­ken Sym­bol­kraft geprägt. Auf geküns­tel­tes Pathos haben Nak­hai und Wil­liam­son dabei glück­li­cher­wei­se ver­zich­tet. Die star­ken Bil­der, die vor Ort gedreht wur­den, und ein authen­tisch dar­ge­stell­tes Umfeld spre­chen für sich und laden ein, sich auf ein trau­ri­ges und schö­nes, ver­stö­ren­des und trös­ten­des Seh­erleb­nis einzulassen.